Stadtschänke / Zum Goldenen Horn
Mit der Gaststätte „Stadtschänke“ an der Hornstraße, die Mitte Dezember 1979 für immer ihre Pforten schloss und im darauf folgenden Frühjahr abgebrochen wurde, ging wieder ein Stück Alt-Gehrdener Geschichte verloren. Wieder war Gehrden um ein traditionsreiches Haus ärmer geworden. Etwa 100 Jahre alt war das Gebäude, das schon bald nach seiner Erbauung unter dem Namen „Zum goldenen Horn“ zu den damals führenden Gasthäusern der Stadt gehörte.
Die erste Erwähnung finden wir im Jahr 1896, als sich im Lokal „Zum goldenen Horn von Georg Grethe am 20.07. des Jahres turnfreudige Leute in der Hornstraße zusammenfanden und den „Männerturnverein Gehrden“ gründeten. Die Straße hieß damals übrigens noch nicht „Hornstraße“, sondern schlicht und ergreifend „Horn“, was ja auch den sprechenden Namen der Lokalität „Zum goldenen Horn“ erklärt.
Georg Grethe übernahm vier Jahre später, im Jahr 1900, das Waldgasthaus Burgbergturm. Danach war im ersten Drittel des vergangenen Jahrhunderts die Gaststätte in wechselnden Händen.
Die letzten Besitzer war das Ehepaar Willi und Lisa Winkelmann. Sie hatten seit nahezu 30 Jahren das Lokal geführt, das mit einem großen Gästestamm von seriösen Stammtischrunden ebenso besucht wurden, wie von Gästen, die auf die Schnelle hereinschauten, um am „schönsten Platz an der Theke“ ein gepflegtes Bier zu trinken.
1963 wurde durch einen grundlegenden Umbau im Inneren ein großer Gastraum geschaffen, der, gemütlich ausgestattet, einem immer größer werdenden Gästekreis Platz bot. Wie wohl man sich hier gefühlt hatte, wurde noch einmal deutlich, als im Dezember 1979 das letzte Fass zum Abschiedsumtrunk angestochen wurde und man etwas wehmütig viele lustige Begebenheiten Revue passieren ließ.
Die Eigentümer/Wirte der Stadtschänke in der Hornstraße:
um 1896 Georg Grethe
1899 Juni Ernst Möllering
1899 November Karl Sundmacher
1903 Hermann Fütterer
1919 Albert Neuse
1923 Johanne Limbach, geb. Beinking
um 1930 Gifhorn
um 1937 Karl Schwarze
1951 Willi Winkelmann
Hier ein wunderschönes Foto um 1910 der Stadtschänke des Wirtes Fütterer. Man beachte die liebevoll drapierten Pflanztöpfe im Eingangsberiech und den festtäglich gekleideten Herrn mit Hut am Tisch. Alle Tische im Außenbereich waren mit Tischdecken versehen, auch die Wirtin adrett mit weißer Schürze. Herr Fütterer schien also auf eine entsprechende Außenwirkung seiner Lokalität Wert zu legen.
Langjähriger Wirt der Stadtschänke in der Hornstraße
Rainer Piesch im Gespräch mit Ruth Plautz,
geb. Winkelmann
Aus Burgdorf kommend, übernahmen meine Eltern Elisabeth, genannt Lisa, und Willi Winkelmann als Pächter um Mitternacht zu Neujahr 1951 die Stadtschänke vom Vorgänger Karl Schwarze. Beide Elternteile sind im Jahr 1919 geboren worden. Sie kamen beide aus Burgdorf, waren als Nachbarskinder aufgewachsen und kannten sich beide mit den Handwerksberufen aus. Meine Mutter stammte aus einer alten Burgdorfer Bäckerfamilie, die meines Vaters aus dem Friseurhandwerk.
Willi erlernte von 1933 bis 1936 in Hannover das Bäcker- und Konditoren-Handwerk. Nach dem Krieg legte er 1948 die Meisterprüfung ab. 1949 heiratete er Lisa, die Tochter des damaligen Bäcker-Obermeisters Schumacher in Burgdorf. Am 1. Januar 1951 übernahmen die Eltern die Stadtschänke in Gehrden.
Die näheren Umstände waren etwas abenteuerlich. So wurde aus dem großen Saal der Gastwirtschaft der Wohnbereich für unsere Familie erstellt. Die hohen Räume des ehemaligen Saals waren kaum zu heizen, so dass wir im Winter uns dort nur mit Handschuhen und im Bett mit Socken aufhalten konnten. Eisblumen verzierten großflächig die Fenster und nur in einem Zimmer stand ein Kohle-, später erst ein Ölofen, was dazu führte, dass sich alle Personen in diesem Raum aufhielten. In der Stube befanden sich große Vertiefungen im Fußboden, die noch vom Männerturnverein herrührten, der bis zu seinem Verbot 1933 dort ihre Pfosten für die Reckstangen einließen. Allgemein kann man sagen, dass das ganze Haus recht reparatur- und renovierungsbedürftig war. Heute würde man wohl von einem erheblichen „Renovierungsstau“ sprechen. Unsere Vermieter, das Ehepaar Volker, wohnten in der oberen Etage des Hauses.
Und das gab es in Gehrden einmalig wirklich nur in der Stadtschänke: Lisa Hähnchen. Mit diesem kleinen Grill zauberte sie die leckeren „Flugobjekte“. Speziell gewürzt und immer knackig knusprig. Später kamen dann noch zwei größere Grillstationen dazu, da die Nachfrage immer immens war. Diese Hähnchen, die von den Mitarbeitern des Robert-Koch-Krankenhauses den Namen „Verbrennungen dritten Grades“ erhalten hatten, wurden auch außer Haus geliefert.
Zu Zeiten der Hannover-Messe waren die Hähnchen so beliebt, das teilweise die Gäste wegen Überfüllung vor dem Lokal gestanden hatten. Die Gaststätte bot wohl 60 Sitzplätze, bei etwa 100 Besuchern war dann die absolute Kapazitätsgrenze erreicht. Durch geschickten Wechsel zwischen gerade bezahlenden und neu eintreffenden Gästen konnte Willi aber immer alle zufriedenstellen.
Während des Regimentes über Pfanne und Töpfe erfand Lisa kreierte Lisa immer mal etwas Spezielles. So „erfand“ sie beispielsweise die so genannte „Teufelszunge“. Eine ausgehöhlte halbierte Gewürzgurke, deren Inhalt gesammelt wurde und mit Mayonnaise und allerhand geheimnisvoller Gewürze zu einer Art Paste vermengt wurde, die dann wiederum in die ausgehöhlten Gurken verfüllt wurde. Die halbe Gurke wurde damals für 1,00 DM angeboten und diente den Gästen als wohlschmeckende und Durst machende Beilage zum Bier. Und der Wirtin natürlich zur Umsatzsteigerung.
Eine weitere Attraktion in der Stadtschänke war die Einführung der „blauen Stunde“ in den 1960ern. In einen großen, blauen Glaskelch wurde an einigen Tagen, was sich schnell unter den Stammgästen herumsprach, eine Kerze entzündet, die eine besonders heimelige Atmosphäre verbreitete. Die restlichen Gäste versammelten sich dann zum Ende der eigentlichen Öffnungszeit gegen Mitternacht um den Thekenbereich. Aber auch speziell zu diesem lauschigen Miteinander kamen noch spät ein paar Nachtschwärmer. Nun wurde über sehr Persönliches und Privates gesprochen und Internas ausgetauscht. Wie gesagt, die Stadtschänke war eine sehr familiäre Gaststätte, in der sogar mal die Gäste bei schwierigen Hausaufgaben zu Rate gezogen wurden.
Das Foto zeigt Ruth Winkelmann neben dem berühmten blauen Kelch, der dieser schönen „Erfindung“ ihren Namen gab.
Der Einkauf für die Gaststätte fand überwiegend bei ortsansässigen Händlern statt. Spirituosen und Zigarren wurden von Dunsing in der Gartenstraße bezogen, von Wittenberg Brause, Wasser und Apfelsaft, vom Fleischer Schäfer die Bockwürstchen, Willi Pook lieferte Brot und Weißbrot, von Irtel im Steinweg kam Gemüse und von Babica der Käse.
Schützenfest des Jahres 1962. Der Umzug der Schulklassen führte natürlich auch durch die Hornstraße. Links im Bild mit der weißen Schürze Ruth Winkelmann, natürlich standesgemäß als Serviererin verkleidet. Ein oder zweimal führte sogar das bekannte Gehrdener Radrennen durch die Hornstraße an der Stadtschänke vorbei.
Willi Winkelmann vor seinem Gaststättenbetrieb. Eines der letzten Fotos vor dem großen Umbau. Dabei wurden Wände herausgerissen und neue Säulen eingesetzt. Der Umbau wurde von Maurermeister Goldmann und der Innenausbau durch die Tischlerei Willi Siebert durchgeführt.
1966 – Mach einer wird sich noch erinnern. Das Geschäft links beherbergte in den 1950ern zeitweise den Radio- und Fernsehtechniker Jaenicke und später die Reinigung Fliegner.
Etwa 1966, - Stammgäste am Tresen. Eine typische Szene aus der Gaststätte, - es wird gerade noch ein Feierabendbier getrunken. Und hier gehörte bei Willi Winkelmann die stehende Schaumkrone auf dem Sieben-Minuten-Bier zur Berufsehre.
Die Polar-Bar: Legendär war Willis „Polar-“ oder „Eis-Bar“. In verschneiten Wintern, wenn Frau Holle genug weiße Pracht vom Himmel geschüttelt hatte, wurde vor dem Haus ein großer Tresen aus Schnee gebaut. Für die Frühschoppengäste war diese „Eis-Bar“ immer ein besonderes Erlebnis. Dort gab es dann, wie das Werbeschild aussagt, garantiert eisgekühlte Getränke. Na klar!