Zentrale und Linie 10
Heiß ersehnt und doch umstritten: Vor 100 Jahren fuhr die erste Straßenbahn in Richtung Empelde
Die „Elektrische“ ist am Deister längst Legende
Vor ziemlich genau 100 Jahren begann die „Elektrische“ von Hannover aus das Deistervorland zu erobern. Die Üstra-Linie 10 wurde damals vom Denkmal Badenstedt über Empelde bis zu den „Sieben Trappen“
bei Benthe verlängert und in Betrieb genommen. In weiteren Etappen wurde Gehrden 1898 und Barsinghausen 1899 angeschlossen. Für mehr als sechs Jahrzehnte hatte die Linie 10, auch Deisterstrecke
genannt, große Bedeutung sowohl für den Personen- als auch für den Güterverkehr. Sie ist längst zur Legende geworden.
Straßenbahn-Geschichte im Calenberger Land hat die am 22. Juni 1892 gegründete „Straßenbahn Hannover AG“ geschrieben, die sich seit 1921 „Überlandwerke und Straßenbahnen Hannover“ (Üstra) nennt.
Sie baute 1893 einen Pferdebahnwagen zur elektrischen Straßenbahn um. Die Linie 10 geht auf die am 25. August 1894 eröffnete Oberleitungslinie zurück, die zwischen dem Schwarzen Bären und
Körtingsdorf verkehrte. Von 1895 an fuhr sie ab Steintor, von 1905 bis 1945 war der Hauptbahnhof Abfahrstation, danach die Glocksee und von 1950 an der Aegidientorplatz.
Nach der Benther Chronik sollen „einflußreiche Leute der Lindener Industrie“ den Ausbau der Deisterstrecke stark gefördert haben. Sie brauchten Arbeitskräfte, die aus dem Umland geholt werden
sollten.
„Die fahren uns die Hühner tot“
Der damalige Gemeindevorsteher und die Grundeigentümer sollen sich allerdings mit Erfolg gegen die Absicht gewehrt haben, die Straßenbahn durch den Ort Benthe zu führen. Ihr Hauptargument: „De witt
wie hier nich hebben, de feuert üsch bloß de Hunne un de Heuner dout.“ (Auf gut deutsch: Die wollen wir hier nicht haben, die fahren uns bloß die Hunde und Hühner tot.). So kam es, daß die Linie 10
vom Denkmal in Badenstedt über Empelde bis zu den Sieben Trappen verlängert und dort eine Agentur (Gasthaus Göhns) eingerichtet wurde.
Die Straßenbahn war vom ersten Tag an ein durchschlagender Erfolg. Sie garantierte eine schnelle Beförderung bei verhältnismäßig geringen Kosten. Das galt sowohl für den Personen- als auch für den
Güterverkehr. Vor allem erst, nachdem die Strecke über Gehrden (Steintor und Neuwerk), Leveste, Langreder, Kirchdorf, Egestorf und Barsinghausen (Bahnhofstraße und Kohlenbergwerk) verlängert worden
war.
Bahnhöfe entstanden in Gehrden und Barsinghausen. Die Abwicklung des Verkehrs stellte an den Wagenpark und das Personal in Gehrden hohe Anforderungen. Für 1950 ist beispielsweise nachgewiesen, dass
die erste Straßenbahn nachts um 4 Uhr nach Barsinghausen fur. Von diesem Zeitpunkt an verkehrte sie während der Spitzenzeiten im 15-Minuten-Takt in beide Richtungen, um den Berufsverkehr zum Schacht
in Barsinghausen, zum Kalibergwerk Empelde und zu den Betrieben in Hannover sicherzustellen.
Von der Jahreswende 1925/26 an verkehrten vermutlich bis 1929 beschleunigte Wintersportzüge. Sie hielten außer in Hannover nur in Gehrden und in Egestorf. In den Sommermonaten spielte der
Ausflugsverkehr von Hannover zum Benther und Gehrdener Berg sowie nach Barsinghausen (Deister) eine bedeutende Rolle. Nach mündlichen Überlieferungen standen sonntags bei den Sieben Trappen auf den
Abstellgleisen mehrere Extrawagen bereit, damit die Straßenbahn die vielen Fahrgäste nach Hannover zurückbefördern konnte.
Die Üstra ließ 1898 auf dem Gehrdener berg zur „Hebung des Verkehrs“ nicht nur das Berggasthaus „Niedersachsen“ mit der vom hannoverschen Stadtgarteninspektor Julius Trip entworfenen Parkanlage
mit einer großzügigen Freitreppe errichten, sondern sie schuf auch eine Zweiglinie vom Gehrdener Betriebshof bis auf den Berg hinauf. Die vielen Ausflügler wurden vom 22, Mai an bis unmittelbar vor
die Freitreppe befördert.
Weil die kupferne Oberleitung für Kriegszwecke benötigt wurde, kam der Betrieb auf diesem Abschnitt 1917 wieder zum Erliegen. Die Schienen verliefen im Seitenraum der Großen Bergstraße und schwenkten
hinter der Bergkuppe nach Süden. Bis Anfang der 30er Jahre blieben sie liegen. Die beiden letzten Gittermasten wurden erst vor wenigen Jahren im Bereich des Hundesportplatzes beseitigt.
50er Jahre brachten das Aus
Schon wenige Tage nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde auf Befehl der englischen Militärregierung der unterbrochene Güterverkehr am 26. Mai 1945 wieder
aufgenommen. Vom 30. Mai an rollte der Personenverkehr wieder. Doch das eingleisige Schienennetz mit dem veralteten Unterbau hielt den Anforderungen der 50er Jahre nicht mehr stand. Die Wagen durften
nur noch langsam fahren, der Verkehr auf der Straße begann spürbar zuzunehmen.
Die Folge war die Einstellung des Personenverkehrs mit der Straßenbahn zwischen Gehrden (Neuwerk) und Barsinghausen am 27. Juli 1952. Seither werden die Ortschaften entlang dieser Linie von Bussen
bedient. Am 30. November 1953 kam nach der Zuckerrübenkampagne auch das Aus für den Güterverkehr. Das Kapitel Straßenbahn im Deistervorland wurde am 3. Juli 1961 mit der Stillegung der Strecke
zwischen Gehrden und Empelde geschlossen.
Hinten am Milchzug hing der Bierwagen
Auf keinem andern Straßenbahnnetz Deutschlands hat der Güterverkehr eine solche Bedeutung gehabt wie auf den Strecken der Üstra. Die Deisterstrecke wurde geprägt durch den Transport der Steinkohle
aus Barsinghausen. Hochbetrieb herrschte außerdem drei Jahrzehnte lang jeweils während der Rübenkampagne, als die Bauern die Zuckerfabrik in Gehrden-Neuwerk belieferten. Außerdem rollte täglich der
sogenannte Milchzug über die eingleisige Strecke. Und auch Stückgut wurde befördert.
Bahnhof nur für Güter
Erste Versuche im Gütertransport hatten 1897 auf der Strecke bis zu den Sieben Trappen stattgefunden. Horst Moch, der über die Geschichte der Üstra-Straßenbahn zwei Bücher herausgegeben hat,
vermutet, daß bei diesen Versuchen bereits kombinierte Wagen für Land- und Schienenweg eingesetzt wurden. Der in Barsinghausen eingerichtete Bahnhof war ausschließlich für den Güterverkehr zuständig.
Seine besondere Bedeutung hatte er durch das enorme Transportaufkommen des Kohlenbergwerks der Preußag, das sich unweit des Stationsgebäudes befand. Zwei Zahlen sagen etwas über den Umfang aus. Im
März 1901 wurden 4 420 Tonnen Steinkohle befördert. 1949 waren es 52 000 Tonnen. Die Kohle wurde zu Abnehmern im gesamten Netz der Üstra transportiert.
Diese Transporte hatten es in sich, weil im Bereich von Gehrden zwischen Neuwerk (Ortsausgang aus Richtung Leveste) und Steintor eine Rampenstrecke zu überwinden war. Ein Kohlenzug mit zwei
Güterwagen mußte von einer Maschine allein über diese Steigung gezogen werden. Züge mit mehreren Wagen mußten vorher telefonisch angemeldet werden, damit vom Bahnhof Gehrden aus eine
Vorspann-Maschine rechtzeitig nach Neuwerk beordert werden konnte. Mit zwei Maschinen gelang es in der Regel, den „Berg“ zu überwinden. Es konnte aber auch passieren, daß wegen zu starker Belastung
im Triebfahrzeug der Überstrom-Automat ausgelöst und die Stromzufuhr unterbrochen wurde. In solchen Situationen bestand die Gefahr, daß der ganze Zug zurückrollte, weil er von der Maschine allein
nicht gebremst werden konnte. Da mußten die Bremser auf den einzelnen Wagen schon auf Draht sein.
Eine andere Besonderheit war in Kirchdorf die höhengleiche Kreuzung mir der Eisenbahnstrecke Weetzen-Haste: Dort hatte die Straßenbahn beiderseits der Eisenbahnkreuzung nur dann freie Fahrt, wenn das
entsprechende Flügelsignal angezeigt wurde.
Milch für Linden
Aus Sicherheitsgründen bestanden für die Straßenbahn zudem Zwangshaltestellen vor der Kreuzung. Entgleisungsweichen mit einem Stück Gleis sorgten dafür, dass „durchgegangene“ Wagen vom Stammgleis
abgelenkt und so ein eventueller Zusammenstoß vermieden werden konnte.
Auf dem Gleisstummel an der Kreuzung wurden im übrigen auch Zuckerrüben verladen, vom Ackerwagen der Bauern auf den Straßenbahngüterwagen. In allen anderen Dörfern entlang der Straßenbahnstrecke gab
es Lade- oder auch Ausziehgleise. Auf ihnen wurden die Wagen zum Beladen bereitgestellt. Als die Zuckerfabrik Neuwerk 1930 aufgegeben wurde, verlagerte sich der Rübentransport nach Rethen. Über ein
Ladegleis verfügte außerdem die Ziegelei in Gehrden.
Der tägliche Milchzug startete morgens um 6 Uhr vom Bahnhof Gehrden. Unterwegs nahm er bis Barsinghausen alle bereitgestellten Milchkannen auf. Eine Stunde später war der Zug wieder in
Gehrden-Neuwerk, wo ein weiterer Güterwagen mit 100 Milchkannen angehängt wurde. Auf der Strecke bis Empelde wurde weitere Milch zugeladen. Bei der Einfahrt in Linden begann die Abgabe von Milch an
Händler. Die meiste Milch wurde jedoch in die Molkerei in der Hildesheimer Straße in Hannover gebracht.
Der Fahrplan für den Milchzug und das Entladen mußten exakt eingehalten werden, damit der übrige Verkehr nicht ins Stocken beriet. Von der Molkerei ging es häufig noch weiter bis zur Gilde-Brauerei,
um das vom Barsinghäuser Bierverleger Schwake aufgegebene Leergut abzuliefern und neues Bier mitzunehmen. Die Bierwagen wurden einfach an den Milchzug angehängt.
Der ‚Milchzettel’, der Versandschein aufgrund des ‚Ausnahmetarifes für die regelmäßige Beförderung von Milch und leeren Milchgefäßen’ der Überlandwerke
und Straßenbahnen Hannover Aktiengesellschaft wurde an die Milchkannen geheftet, die mit der Linie 10 nach Hannover befördert wurden (um 1930). Landwirt Otto Mittendorf brachte seine Milchkannen mit
einem Handkarren zur ‚Centrale’ in Gehrden. Dort wurden die Kannen auf die Waggons der Linie 10 geladen und nach Hannover transportiert.
Text auf dem ‚Milchzettel’:
Überlandwerke und Straßenbahnen Hannover Aktiengesellschaft
Versandschein.
(Je ein Schein ist für die Abfertigungsstelle sowie für jeden Empfänger auszustellen.)
Der Unterzeichnete versendet heute aufgrund des „Ausnahmetarifes für die regelmäßige Beförderung von Milch und leeren Milchgefäßen“ die nachstehend aufgeführten, mit Anschrift gekennzeichneten,
gefüllten/leeren Milchgefäße.
Abgangsstelle Gehrden – Empfangsstelle Hannover, Hildesheimerstraße
Empfänger: Milchabsatz-Genossenschaft Hannover
Mit der Bahn kam der Strom
Mit der Verlagerung der Straßenbahntrasse bis zu den Sieben Trappen kam auch der elektrische Strom nach Benthe. Die Üstra erzeugte in ihren Kohlebetriebskraftwerken Rethen, Sehnde, Vahrenwald,
Buchholz und Glocksee nicht nur den Strom für ihr eigenes Straßenbahnnetz, sondern sie versorgte damit auch Gemeinden im hannoverschen Umland. Schließlich transportierte sie ja selbst die in
Barsinghausen abgebaute Steinkohle zu den Kraftwerken.
Von den Sieben Trappen führte eine Oberleitung nach Benthe hinein, um Betriebe und Privathaushalte mit Strom zu beliefern. Über Benthe hinaus wurden Everloh, Northen und Lenthe angeschlossen. Von
dort aus führte die Oberleitung weiter in das heutige Stadtgebiet Seelze.
aus: Landkreis-Zeitung West vom 7. September 1996
Neben dem Zielschild "Gehrden" ist noch ein Zusatzschild "Barsinghausen" an der Plattform installiert.
Zur Orientierung: Die Bahn kommt vom Steintor, rechts die Brüstungsmauer der Leinebrücke (Clevertor), dahinter befindet sich heute die Verwaltung der Üstra.
Nach Hause auf dem Triebwagen
Für allerlei Aufregung unter den Straßenbahnern sorgte 1947 ein Jugendlicher aus Barsinghausen. Er hatte zu später Stunde in Hannover, offenbar nach einer Zechtour, einen vor dem Bahnhof Glocksee
abgestellten Triebwagen bestiegen und damit die Heimreise angetreten. Das Personal hatte den Diebstahl bald darauf bemerkt und mit einem zweiten Triebwagen die Verfolgung auf dem Gleis der Linie 10
aufgenommen. In Egestorf fanden sie den inzwischen verlassenen Triebwagen wieder auf. Der Täter war noch nicht weit gekommen, so daß sie ihn noch stellen konnten.
aus: Landkreis-Zeitung West vom 7. September 1996
Der oben abgebildete Triebwagen Tw 468, eine Umzeichnung des ursprünglichen Tw 168, fuhr auch auf der Strecke der Linie 10 nach Gehrden. Es handelte sich um einen umgebauten Pferdebahn-Wagen von
der Fa. Jacobi.
Von 1898 bis 1903 konnten diese Tws nicht durch Hannover fahren, da die Oberleitung fehlte; - es verkehrten nur Akku-Wagen.
Mit der Linie 10 von Gehrden nach Hannover
Jetzt möchte ich Sie mitnehmen - zu einer kleinen Fahrt mit der Straßenbahn Linie10 von Gehrden Neuwerk nach Hannover. Wir schreiben das Jahr 1960/61. Viel Spaß dabei - und 'Gute Fahrt'.
Mein besonderer Dank gilt Harald Exner für die Zurverfügungstellung seiner phantastischen Fotos.
Links oben, im Bild gut zu erkennen, vollzog die Streckenführung, von Neuwerk über den 'schwarzen Weg' zur Bahnhofstraße kommend, eine 90-Grad-Linkskurve, bevor sie zur Zentrale (Bahnhof) weitergeleitet wurde. Hier fuhr die Straßenbahn Linie 10 ein wenig langsamer, was auch mit dem Fahrzeugführer abgesprochen war. Das nutzten dann häufig die ein, zwei Dutzend Mitarbeiter der Straßenbahn, die in der 'Siedlung' wohnten und den langen Fußweg sparen wollten, um von der Bahn abzuspringen.
In dieser Kurve soll es oftmals zu aufsehenerregenden, zirkusreifen Überschlägen, so genannten Pirellen, gekommen sein.
Hier endet unsere kleine Ausfahrt mit der Linie 10. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise. Denn nicht immer ging alles fahrplanmäßig...
Ein Horn muß tuten
Es war ein diesiger Februarmorgen im vergangenen Jahr. Die Thermometer in der Umgebung der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover zeigten minus fünfzehn Grad. Die fahrplanmäßige Überland-Straßenbahn der Linie 10 von Hannover nach dem Vorort Gehrden hatte bereits vier Minuten Verspätung, als sie sich, stadtauswärts fahrend, der Haltestelle Sieben Trappen näherte. Von dort verläuft die Strecke einen Kilometer lang bis zur katholischen Kirche eingleisig. Über der Senke zwischen den Straßenbahnhaltestellen Sieben Trappen und Katholische Kirche standen dichte Nebelschwaden. Was sich bei starkem Frost bereits mehrmals ereignet hatte, geschah auch diesmal: Das Signal an der Weiche, das die Passierbarkeit der eingleisigen Strecke anzeigen sollte, leuchtete nicht auf. Straßenbahnführer Wilhelm Gärtner stoppte und setzte seinen Straßenbahnzug zweimal zurück, in der Hoffnung, auf diese Art die Kontakte des Signals auslösen zu können. Aber weder grünes noch rotes Licht flammte auf. Die Anlage wollte nicht funktionieren. Da lenkte Fahrer Gärtner seine Straßenbahn auf die nicht signalgesicherte eingleisige Strecke und fuhr durch die dichten Nebelschwaden gen Gehrden. Er hatte schon mehr als drei Viertel des Weges zurückgelegt, als das Schreckliche geschah. Plötzlich tauchte aus dem Nebel der Gegenzug aus Gehrden auf. In letzter Minute versuchte Fahrer Gärtner zu bremsen. Aber krachend schoben sich die beiden Triebwagen ineinander. Der Straßenbahnfahrer Wilhelm Gärtner wurde wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Transportgefährdung rechtskräftig zu fünf Monaten Gefängnis mit Bewährungsfrist verurteilt. Er wurde für schuldig befunden, weil er die von der Ueberlandwerke und Straßenbahnen AG Hannover für den Fall des Versagens von Signalen erlassenen Sicherheitsvorschriften nicht beachtet hatte...
aus: DER SPIEGEL 15/1956
Am 2. Juli 1961 wurde die Straßenbahn Linie 10 eingestellt...
Hier ein Artikel aus der Provinzial-Deister-Leine Zeitung vom 13.08.1904, der verdeutlicht, dass die Linie 10 auch Probleme mit sich brachte. In der Rubrik
(Eingesandt.) wurden offenbar örtliche Missstände angeprangert.
(Eingesandt.)
Schon seit Jahren ist das Dorf Barsinghausen mit seinem herrlichen Deisterwalde für viele Einwohner der Stadt Hannover und Umgebung ein sehr beliebter Ausflugsort. Jeder Fremde wird auch zugeben
müssen, daß im Orte Barsinghausen, besonders in den letzten Jahren, so manches geschehen ist, was wesentlich zur Verschönerung des Dorfes beigetragen hat. Es sei nur erinnert an die Pflasterung der
Marktstraße und anderer, an das Legen eines Trottoirs, an eine bessere Straßenbeleuchtung, an die Kanalisation u.s.w. Einsender dieses, der nicht Barsinghäuser ist, beneidet keineswegs die Leute, die
von diesen Verbesserungen Nutzen haben. Viel Dank gebührt der Ortsbehörde, die gewißlich keine Mühe und Mittel gescheut hat, um das zu erreichen, was bislang schon erreicht worden ist. Man weiß auch,
daß es nicht leicht ist, mit einem Male ein so großes Dorf, das ohnehin noch sehr weitläufig gebaut ist, zu renovieren. Aber eines kleinen Vorwurfes kann sich Einsender dieses doch nicht erwehren.
Wie ein Vater alle seine Kinder gleich lieb haben soll, so darf man auch zu einer wohlgesinnten Ortsbehörde das Vertrauen hegen, daß sie für alle ihre Untertanen, wenn ich einmal so sagen darf,
gleiches Interesse zeigt. – Etwas stiefmütterlich sind von jeher die Einwohner an der Egestorferstraße behandelt, der Klagen waren schon früher immer kein Ende, und war einmal ein Uebelstand abgetan,
so zeigten sich gleich wieder andere Unannehmlichkeiten. Die Anliegen und bitte wurden wenig berücksichtigt, und die Anlieger der Straße mit den Worten zurückgewiesen: Das ist Sache des Kreises, der
Bau der Straße geht die Ortsbehörde nichts an u.s.w., denn das ist eine öffentliche Landstraße. So viel Einsender bekannt ist, ist die Marktstraße gleichfalls öffentliche Landstraße, die also
demgemäß auch vom Kreise unterhalten werden mußte. Niemand wird daran zweifeln, dass die Egestorferstraße auch einmal ein feines Trottoir bekommt; aber wann? Auch wird die Ortsbehörde gewiß bald
einmal für bessere Beleuchtung Sorge tragen und dergleichen mehr. Was dem einen recht ist, ist dem anderen billig! – Seit dem Bau der elektrischen Straßenbahn ist auch vieles geschehen zur
Verbesserung der genannten Straße, so daß sie jetzt ganz passierbar ist. Auch muß zugestanden werden, daß dieses Verkehrsmittel gewiß von allen Bewohnern des Ortes mit Freuden begrüßt und für den Ort
selbst von großem Nutzen ist, Aber mit der Zeit haben sich besonders auf der Egestorferstraße, verursacht durch den Straßenbahnbetrieb, Uebelstände herausgestellt, die nicht zu den Annehmlichkeiten
eines Ortes gerechnet werden können. Das Rangieren von Güterzügen verursacht ein sehr unangenehmes Geräusch, beunruhigt namentlich die Kranken sehr, macht die Leute nervös und kann zu leicht ein
Unglück herbeiführen. Auch ist der dadurch entstehende Staub eine unangenehme Zugabe, wozu auch die Personenzüge nicht unwesentlich beitragen, da ihnen manchmal an trockenen, heißen tagen infolge zu
schnellen Fahrens eine Staubwolke von mehreren hundert Metern folgt. Nicht minder angenehm und schön ist das Verladen von Steinen, wodurch selbst die Personenzüge oft aufgehalten sowie auch der
übrige Verkehr häufig gestört wird. Drittens kann man es auch nicht schön finden, wenn man auf Geleise, die nur dem Durchgangsverkehr dienen sollen, Wagen stellt, wodurch ein Gleis an Wochentagen
ganz gesperrt ist oder wenn man sogar soviel wie möglich Wagen in das Nebengleis an der Rampe neben dem Lagerplatz des Zimmermeisters Voß fahren läßt, welches Gleis eben, wie alle wissen, einen
andern Zweck hat. Einsender weiß keinen Grund zu finden, warum das alles auf offener Strecke geschehen muß, da doch der Güterbahnhof bei dem Hause des Schlachtermeisters Köster dazu ausersehen ist.
Die Bewohner an der Egestorferstraße würden gewiß der Ortsbehörde sehr dankbar sein, wenn sie einmal am competenten Orte vorstellig würde, daß diese unhaltbaren Zustände doch so schnell wie möglich
beseitigt würden.
Erinnerungen an die Straßenbahnlinie 10
aus: „Nachrichtenblatt für die Betriebsangehörigen“ der Üstra 4/1961
Die Umstellung der Straßenbahn-Linie 10 am 4. Juli 1961 auf Om-nibus-Betrieb ruft Erinnerungen an vergangene Zeiten wach.
Die „10“ befuhr als Außenlinie bis zu diesem Tag die rd. 14 km lange Strecke Hannover-Gehrden, nachdem auf dem Streckenab-schnitt Gehrden – Barsinghausen (rd. 12 km) der Omnibus bereits 1952 an
Stelle der Straßenbahn trat.
Der Ausbau dieser Straßenbahn-Außenstrecke erfolgte schon ver-hältnismäßig früh. 1894 wurde Körtingsdorf an das Stadtnetz an-geschlossen, 1895 wurde der Be-trieb bis Badenstadt und 1896 bis Sieben
Trappen verlängert. 1898 erfolgte der Ausbau dieser Linie bis Gehrden, wobei auch das auf dem Gehrdener berg errichtete Gasthaus „Niedersachsen“ eine Gleisverbindung nach Gehrden erhielt.
In den ersten Jahren war diese Linie gekennzeichnet durch eine rechteckige grün/weiße (diagonal) Scheibe. Erst im Jahre 1906, als die Linien-Nummern bei der Stra-ßenbahn eingeführt wurden, er-hielt
sie die Nummer „10“. Der an ihre Stelle getretene Omnibus führt die Bezeichnung „O 10“.
Auf ihrer Fahrt in Richtung gehr-den wurde die „10“ im Stadtgebiet von Linden vor dem ersten Welt-krieg noch begleitet von den Li-nien 3, 5 und 15, die wie sie die Falkenstraße hochfuhren und an der
Nieschlagstraße, d.h. in der Brauhofstraße endeten. Von dort ab bediente sie ihren Streckenabschnitt allein. Noch waren Kör-tingsdorf und Badenstedt als Vor-orte nicht so große, dasß eine weitere
Linie dort hin geführt werden mußte. Der halbstündige Ver-kehr auf der „10“ genügte hier bis Gehrden, Nach Barsinghausen bestand damals stündlicher Ver-kehr.
Während der Fahrt durch die Industrie-Stadt Linden weniger schön war wurde sie besser, als man hinter Badenstadt den Benther Berg erblickte und auf der Weiterfahrt hinter dem Dorf Em-pelde den
herrlichen Blick auf den Gehrdener Berg und in weiterer Ferne auf den Deister genießen konnte. Dabei fuhr man dann an üppigen Feldern und Wiesen vor-bei, gehört ja dieser Landstrich zum fruchtbaren
Calenberger Land.
Der Fahrpreis betrug zu damaliger Zeit bis Sieben Trappen und Gehrden 30 Pfg.
Der Fahrweg der „10“ im Stadtgebiet von Hannover verlief lange Zeit vom „Schwarzen Bär“ kom-mend über die Humboldtstraße – Goetheplatz – Goethestraße – Steintor – Georgstraße – und wei-ter über die
Schillerstraße bis zum Hauptbahnhof, wo er endete. Dort kehrte die die „10“ nicht um, son-dern nahm ihren Weg in einer großen Schleife über die Bahnhofstraße – Georgstraße zum Steintor, wo sie ihre
Route über die Goethestraße Richtung Linden wieder aufnahm. Dabei war noch eine wichtige Haltestelle in der Bahnhofstraße die Haltestelle „Kröpcke“, die es heute nicht mehr gibt.
Als Folge der Zerstörungen im zweiten Weltkrieg wurde der End-punkt der „10“ nach Glocksee verlegt, und später endete sie nicht mehr im Hauptbahnhof, sondern in der Schleife Bleichenstraße am
Aegidientorplatz. Aber dieser Endpunkt war nicht von langer Dauer. Bauliche Veränderungen der Straßenfluchten in diesem Gebiet erzwangen eine abermalige Verlegung der Endhaltestelle zum Klagesmarkt.
Dieses war also die letzte „Endstation“, bevor sie nach über 60-jährigem Bestehen stillgelegt, und ihre Aufgabe dem Omnibus übertragen wurde.
Da im Laufe der Zeit der halbstündige Verkehr nach Badenstedt nicht mehr ausreichte, entstand die Linie „10 B“, die zwischen Ba-denstedt-Denkmal und Haupt-bahnhof in halbstündigem verkehr, allerdings
nur werktags, die „10“ ergänzte. Damit wurde Ba-denstedt im 15-Minuten-Takt be-dient.
Bei den Hannoveranern war die Linie 10 sehr beliebt. Sonntags, bei gutem Wetter, mußten Ver-stärkungszüge eingelegt werden. Da nicht immer genügend Trieb-wagen für den Personenverkehr zur Verfügung
standen, wurden auch Güter-Triebwagen einge-setzt, die mit Sitzbänken ausge-rüstet waren. Diese hatten einen grünen Anstrich und fielen daher vor den zitronen-gelb und später cremefarbig gestrichenen
Beiwa-gen durch ihre Farbgebung auf. Außerdem waren sie nur einfach gefedert und fuhren daher gegen-über den doppelt gefederten Triebwagen sehr „hart“. Aber das Publikum stellte damals noch nicht so
hohe Ansprüche an den Fahrkomfort; die Hauptsache war, schnell ins „Grüne“ zu kommen.
Für das Fahrpersonal kam noch erschwerend hinzu, daß die Gü-tertriebwagen nicht mit der bei den Personen-Triebwagen eingebauten Druckluftbremse ausgerüstet waren. Zum Bremsen stand nur die Handbremse
zur Verfügung, die jedoch gut arbeitete und von den Beiwagen-Schaffnern neben der Kassiertätigkeit bedient wer-den mußte.
Der Betrieb mit der Druckluft-bremse auf der Linie 10 wurde erst nach 1930 auf die elektrische Widerstandsbremse umgestellt, als die neuen Stahl-Trieb- und –Beiwagen auf dieser Linie einge-führt
wurden. Diese Wagen sind dann ununterbrochen bis zur Ein-stellung des Straßenbahnbetriebs, also mehr als 30 Jahre, im Einsatz auf der Linie 10 gewesen.
Bei dieser Gelegenheit muß noch eines Triebwagens mit der Num-mer 200 und seines Beiwagens mit der Nummer 476 gedacht werden, die aus dem Rahmen des damaligen Wagenparks der Linie 10 herausfielen.
Der Triebwagen war ein Vierachser, bei welchem nur die Achsen mit den großen Rädern motorisch angetrieben wurden, während die Achsen mit den kleinen Rädern nur Laufach-sen waren. Er sollte also auf
der kurvenreichen Strecke trotz seiner Länge gute Fahreigenschaften an den Tag legen. Außerdem war er im Innern komfortabel eingerich-tet. Die gepolsterten Quersitze waren mit Leder bezogen.
Auffal-len tat auch sein rotweißer An-strich.
Aber vor allem die damals noch außergewöhnlich scharfe Kurve (Körtingsdorf – Fabrik) ließ trotz seiner Drehgestelle ein längeres Verweilen dieses Wagens auf der Linie 10 nicht zu. Er wurde ver-kauft,
und sein Beiwagen 476, der erste in Hannover mit einem be-sonderen Fahrgestell, kam nach Döhren auf die Linie 1.
Eine Besonderheit war noch die Schienenverbindung von Gehrden zum Berggasthaus „Niedersach-sen“ auf dem Gehrdener Berg. Da mit Rücksicht auf die Steigung ein Direktverkehr mit einem Dreiwa-genzug
nicht möglich war, mußte in Gehrden-Zentrale umgestiegen werden. Hier stand ein Einzel-triebwagen, einmotorig, bereit, der zwischen Gehrden und „Nieder-sachsen“ pendelte. Die Fahrt kos-tete in jede
Richtung 5 Pfg.
Nach Verlassen der letzten Häu-ser von Gehrden fuhr man durch herrlichen Buchenwald in der Senke zwischen dem Burgberg und dem eigentlichen Gehrdener Berg, auf dem „Niedersachsen“ lag, um danach in
einem eigens für den Bahnkörper geschaffenen Einschnitt in einer Links-Kurve die Anhöhe des Gehrdener Berges zu erreichen. Hatte der wagen diese erklommen, konnte man weit in das Land bis zum Deister
sehen. Am Ende der „Bergbahn“ ging man bequem über eine Freitrep-pe, die zu der terrassenförmig an-gelegten Parkanlage und dem Gasthaus führte. Beiderseits der Freitreppe dienten den Fahrgästen als
Schutz bei plötzlich eintre-tenden Unwettern.
Erwähnenswert ist noch, daß für wintersport-begeisterte Hannoveraner, die nach Gehrden oder Barsinghausen zum Rodeln oder sogar zum zu damaligen Zeiten für diese Gegend noch ungewöhn-lichen Ski-Sport
fahren wollten, nach dem ersten Weltkrieg, als die Währung wieder stabil geworden war, beschleunigte Straßenbahn-züge eingeführt wurden, die in der Stadt nur an Haupthaltestellen hielten, im übrigen
aber ohne un-terwegs anzuhalten bis Gehrden bzw. Barsinghausen durchfuhren.
Schließlich betrieb die Straßen-bahn auf den Außenlinien, um die Wirtschaftlichkeit zu heben, einen beachtlichen Güterverkehr. Neben dem täglichen Stückgut- und Milchverkehr auf der Gehrdener Strecke
wurden von Barsinghausen, als die Verbindung noch be-stand, Kohlen und im herbst Zuckerrüben transportiert. Während der Erdbeerernte wurden sog. „Erdbeerzüge“ von Egestorf, dem Mittelpunkt des
Erdbeerbaus, aus gefahren, um die Bevölkerung Hannovers mit frischen Früchten für den Sonntag zu erfreuen. Mö-ge nun der Omnibus in der „O 10“ die Tradition der Straßenbahnlinie in seiner Art zum
Wohle der Beteiligten fortsetzen!
Chronik der Straßenbahn-Außenlinie 10
1894 – 1961
Hannover – Empelde – Sieben Trappen – Gehrden- Leveste – Langreder – Egestorf – Barsinghausen
1894
25.08.: (Schwarzer Bär) – Falkenstr. - Egestorffstr. – Davenstedter Str. Bauweg – Badenstedter Str. und Körtingsdorf (Hann.-Linden)
1895
02.06.: (Steintor) – Reitwallstr. – Goetheplatz – Humboldtstr. – Ihmebrücke – Schwarzer Bär – weiter wie oben – mit Verlängerung zum Badenstedter Denkmal
1896
27.08.: Verlängerung vom Badenstedter Denkmal über Empelder Str. zur Empelder Schleife nach Sieben Trappen in Benthe
1898
22.05.: Verlängerung von Sieben Trappen nach Gehrden-Betriebshof (auch als „Zentrale“ bekannt) und von dort mit einer Zweiglinie zum „Berggasthaus Niedersachsen“ auf den Gehrdener Berg im
Pendelverkehr
1899
30.09.: Fahrplan der zu eröffnenden elektrischen Straßenbahn – der erste Wagen Barsinghausen ab morgens 6.14 Uhr, von Egestorf 6.27, von Langreder 6.37, von Leveste 6.47, von Gehrden ab 6.58,
Hannover-Steinthor an 7.50 Uhr; der letzte Wagen Hannover-Steinthor ab 11.10 abends, von Gehrden um 12.00, von Leveste 12.11, von Langreder 12.21, von Egestorf 12.31 und trifft in Barsinghausen um
12.44 Uhr ein; täglich fahren etwa 20 Wagen in Abständen von 48 – 50 Minuten; der Fahrpreis betrug von Barsinghausen nach Hannover 60 Pfennig.
01.10.: Verlängerung von Gehrden-Betriebshof über Gehrden-Neuwerk – Leveste (hier mit Schleife um das Gut) – Langreder –Kirchdorfer Pfahl – Egestorfer Warte – Bahnkreuzung in Egestorf and
Anschluss an die Zeche „Klosterstollen“ mit Endstation „Am Kaiserhof“ in Barsinghausen; jeder zweite Zug fuhr nur bis Gehrden.
1901
Kennzeichnung der Außenlinie 10 durch eine Tafel mit einem diagonal grün/weiß geteilten Rechteck und einem grün/weißen Licht
1906
Umstellung der Linien-Kennzeichnung von den Farbsymbolen auf dir Ziffer „10“
1917
Erster Weltkrieg: Stilllegung der Strecke Gehrden-Betriebshof – „Berggasthaus Niedersachsen“; die aus Kupfer bestehende Oberleitung wurde beschlagnahmt; das Gleis wurde 1932 entfernt
1921
31.12.: Umbenennung in „Überlandwerke und Straßenbahnen Hannover AG“ – kurz ÜSTRA
1925
Dezember: Einsatz von „Beschleunigten Wintersportzügen“ zum Deister mit Halt nur in Linden, Gehrden und Egestorf; vermutlich nur bis zum Winter 1929/30
1944
20.01.: Einsatz eines täglichen „Eilzuges“ zwischen Hannover-Hauptbahnhof – Empelde – Gehrden und Barsinghausen
1945
10.-30.04.: Einstellung des gesamten Straßenbahnbetriebes – Einmarsch der U.S-Armee in Hannover
1952
27.07.: Linie 10 – Einsatz nur noch Hannover – Gehrden – Neuwerk: bis Barsinghausen Bundesbahnhof wird auf Omnibusbetrieb umgestellt. Neue Linien-Kennzeichnung lautet „O 10“
1953
30.11.: Einstellung des Güterverkehrs auf dem gesamten Liniennetz
1961
04.07.: Letzte Fahrt der Linie 10
Letzte Fahrt der Straßenbahnlinie 10
aus: „Nachrichtenblatt für die Betriebsangehörigen“ der Üstra 4/1961
Die Meldung der Verkehrsabtei-lung vom 20. Juni lautete:
„Die Einstellung des Streckenbe-triebes auf der Strecke Gehrden – Sieben Trappen – Empelde wird nun mehr am Dienstag, dem 4. Juni 1961, erfolgen. Alle Vorberei-tungen sind auf diesen Termin
ab-zustellen.“
Daß die Umstellung dieser Außen-linie auf Omnibus nicht zu vermei-den war, hatte sich herumgespro-chen, aber daß diese Straßen-bahnstrecke das Jahresende nicht mehr erleben sollte, kam unerwar-tet.
Eine große menge Gehrdener Bürger sowie Freunde der Stra-ßenbahn fanden sich auf dem überfüllte Betriebshof Gehrden ein, um von ihr Abschied zu neh-men, während die Feuerwehrka-pelle frohe Weisen
spielte. Die Ab-fahrt des letzten fahrplanmäßigen Straßenbahnzuges vom Betriebs-hof Gehrden, gefolgt von den dort stationierten Straßenbahnzügen sowie dem Museumswagen 168 erfolgte am 3. Juli gegen
20.20 Uhr zum Nenndorfer Platz (so der damaligen Name der ‚Empelde Schleife’, d. Red.). Die Einladung, kostenlos mitzufahren, löste gro-ßen Jubel aus. Der lustige Zug rollte durch Gehrden, die
Kapelle spielte „Muß i denn, muß i denn…“, und die Einwohner an den Straßen winkten und zogen Taschentücher. Der älteste Ein-wohner aus gehrden, der jetzt 84jährige Wilhelm Wilkening, machte die
letzte Fahrt natürlich auch mit. Unterdessen brauste die neue Omnibuskolonne der Üstra, die den Verkehr übernommen hat-te, and er letzten „10“ vorbei. Vom Nenndorfer Platz ging es mit den Bussen
wieder zurück nach Gehr-den zu einem Abendschoppen.
Im Mittelpunkt der Feierstunde stand die Ansprache von Herrn Dr. Lehner. Er bestieg dazu die Plattform des Museumswagens, der aus dem Jahre 1893 stammt. In seiner Abschiedsrede streifte der Redner
die Geschichte der Straßenbahn Hannover, die in den letzten 75 Jahren eine bedeuten-de Rolle im hannoverschen Raum gespielt hat, und zollte dem Pio-nier und Schöpfer dieses Ver-kehrsmittels Theodor
Krüger gro-ßes Lob.
Mit Beifall wurde von den Gehrde-nern die Ankündigung aufgenom-men, daß das Berggasthaus Nie-dersachsen, sobald es die finan-zielle Lage gestattet, wieder er-stehen sollte. Bereits im nächsten Jahr
wird auf dem Berge ein mo-derner Kaffee-Pavillon errichtet werden (dazu sollte es allerdings nie kommen; - das heutige Berg-gasthaus befindet sich in der Stuhlremise der damaligen
Res-tauration, die im Jahr 1959 abge-rissen wurde, d. Red.).
Zum Schluß wünschte Herr Dr. Lehner der der neuen Omnibusli-nie O 10 einen guten Start sowie auch weiterhin eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen der Stadt Gehrden und der Üstra.
Die Entwicklung Gehrdens war mit der Linie 10 eng verbunden, be-reits am 30. September 1899 be-richtete die „Provinzial-Deister-Zeitung“, daß der Endpunkt der Linie 10 Barsinghausen erreicht und
damit zugleich der Deister an das Verkehrsnetz der Üstra ange-schlossen wurde.
Gehrdens Bürgermeister Dr. Gert-ler dankte nunmehr dem Vorred-ner für seine Worte, und ging dann noch einmal kurz auf die Bedeutung der Straßenbahn für die Stadt Gehrden ein und rief den Anwesenden
die Worte zu, daß man am guten alten festhalten sollte, ohne sich dem Fortschritt zu verschließen.
Die Strecke Hannover – Gehrden ist die letzte Linie, die von der Üstra von Straßenbahn- auf Om-nibusbetrieb umgestellt wurde. Damit waren alle Außenstrecken bis auf die Strecke Hannover –
Sarstedt - durch den Omnibus bedient, während die Straßenbahn innerhalb unserer Städte nach wie vor unentbehrlich ist.
In der Bahnhofsgaststätte Fahr-meyer fand dann noch ein geselli-ges Beisammensein für die Gehr-dener Straßenbahner mit den ge-ladenen Gästen, unter denen sich auch Vertreter der Presse befanden,
statt.